Die Geschichte der Autobahnspinne
Die Dresdner Autobahnspinne (1951-1971)
Der zweite Weltkrieg war zu Ende, und die meisten Menschen hatten anderes zu tun, als sich um Motorrad- und Wagenrennen zu kümmern. Doch für einen kleinen Teil von ihnen gab es schon in den Kriegsgefangenenlagern nur einen Gedanken: Wenn du hier raus kommst, dann werden wieder Rennen gefahren. Als schließlich das Schlimmste dann vorbei war, holten die vom Benzin-und Rizinusgeruchinfizierten ihre Vorkriegsmaschinen oder das, was davon übrig geblieben war, aus Schuppen, Garagen oder aus Verstecken, wo es den Krieg überstanden hatte. Aber wo sollte man fahren? Es gab so gut wie keine Straßen mehr, die für derartige Veranstaltungen geeignet gewesen wären, obwohl die Ansprüche bezüglich Fahrbahnbelag und Sicherheit von Fahrern und Zuschauern zu damaliger Zeit recht bescheiden waren. So musste man das nutzen, was noch vorhanden war –und da wurden sogar Radrennbahnen ( Dresden,Bärnsdorfer Straße) und Pferderennbahnen (Berlin-Karlshorst)zur Motorradrennstrecke.
Die Idee, den Bereich des Autobahndreieckes Dresden -Nord als Rennstrecke zu nutzen, schreibt man dem Cossebauder Rennfahrer Helmut Zimmer zu. Durch die Schaffung einiger fester Übergänge über den Grünstreifen kam es zu einer Rennstrecke, die schließlich aufgrund ihrer Streckenführung die Bezeichnung „Autobahnspinne“ erhielt. Die relativ gut erhaltene Autobahn-Zementdecke galt zu dieser Zeit als ein fast idealer Fahrbahnbelag für Rennsportzwecke. Mit einer Streckenlänge von 6,443 km (später 5,3km) entsprach sie den damals üblichen Distanzen für Rundstrecken. Als Rennbüro diente zunächst das Kaffee am Markt in Hellerau und für das Fahrerlager nutzte man das Gelände der Autobahnmeisterei. Trotz Knappheit an Papier und Druckkapazität ließ es sich die Sächsische Zeitung nicht nehmen, in den ersten Jahren des Rennens eine Sonderausgabe herauszubringen. Das Interessanteste aus heutiger Sicht sind an diesen Ausgaben wohl die Werbeannoncen. So ist dort noch in der Zeitung von 1953 u. a. nachzulesen: „HO Warenhaus Wilsdruffer Straße bietet an: F9 Limousinen sofort lieferbar in drei Farben“ oder „Meißner Porzellan, Gedecke mit und ohne Gold 65.- bis 8,51 DM.
Einen besonderen Höhepunkt in der Geschichte der Dresdner Autobahnspinne stellte der Doppelstart des Ex-Europameister Ewald Kluge im Jahr 1952 dar. E. Kluge gewann das Rennen der 250 ccm-Klasse und hatte sich bei den 350 ccm-Maschinen mit der Dreizylinder-DKW („Singende Säge“)einen beruhigenden Vorsprung erarbeitet, als ihm eine Zündkerze ausfiel und er feststellen musste, dass ihm der dazu notwendige Kerzenschlüssel für einen Kerzenwechsel beim Schiebestart verloren gegangen war. Damit ging der Sieg an den Augsburger Xaver Heiß.
Die Angaben zur Zuschauerzahl in den ersten Jahren bewegen sich zwischen
120000 und 150000. Allerdings ließ dies später nach und pegelte sich bei etwa 20000-bis 30000 Zuschauern ein.
Das erste Rennen 1951 wurde groß auf der Titelseite des Deutschen Sportechos (Zentralorgan der demokratischen Sportbewegung) angekündigt unter der Überschrift: Motoren dröhnen auf der „Spinne“. Im darauf folgenden Text ist dann nachzulesen, dass diese Veranstaltung eine Werbeveranstaltung für die anstehenden Weltfestspiele darstellt……
1959 überschrieb der Illustrierte Motorsport, das Fachblatt des ADMV (Allgemeiner Deutscher Motorsportverband), den Rennbericht über die Dresdner Spinne: „In Dresden purzelten alle Rekorde“ Allerdings waren damit die Runden- und Streckenrekorde gemeint (Zuschauerzahl ca.40000).
Zweimal kam es in der Geschichte der Dresdner Autobahnspinne zu sog. „toten Rennen“ (zeitgleiches Überqueren der Ziellinie durch den Ersten und Zweiten). 1952 war dies der Fall in der Klasse bis 500 ccm zwischen Karl Rührschneck und Rudi Knees – beide Norton-Fahrer, und 1954 in der Klasse der Seitenwagengespanne bis 500 ccm zwischen Faust/Remmert und Pusch/Pöschel.
Dazu der heute 81-jährige in Weinböhla lebende Rolf Pöschel: „ Das Rennen war ein harter Kampf von der ersten Runde an. Nie waren mehr als 7 bis 8 Meter Abstand zwischen unseren Gespannen. Es war einer meiner größten Erfolge, hier den späteren Weltmeistern Faust/Remmert Paroli geboten zu haben.“
1955 fuhr man auf einem leicht veränderten Kurs (sog. Kleine Autobahnspinne), da es in einigen Streckenbereichen zu Fahrbahnschäden (Plattenhebungen) gekommen war. Vermutlich aus gleichem Grunde fiel das 56er Rennen aus. Als Ersatz dafür fuhr man ein Frühjahrstraining auf der Autobahn bei Wilsdruff.
Ein Opfer der Militärstrategen wurde das 1968er Rennen: Es musste abgesagt werden, um die Autobahn für einen evt. Aufmarsch der Warschauer Paktstaaten Richtung Tschechoslowakei (1968 Prager Frühling) freizuhalten.
Die internationale Beteiligung auf der Rennstrecke im Dresdner Norden hielt sich in Grenzen. Aber immerhin starteten in kleiner Zahl Fahrer aus Schweden, Österreich, Ungarn Neuseeland, den USA, Dänemark, der Schweiz, der Tschechoslowakei, Holland, Finnland, Frankreich, Irland, Australien, England, Polen und Belgien auf der Dresdner Rennstrecke. Dabei tauchten z.T. Namen auf, die im internationalen Geschehen eine gute Rolle spielten (Luigi Taveri, Bob Coulter, Freddy Kottulinski, Kurt Ahrens sen. und jun., Deubel/Höhler, Schneider/Strauß, Faust/Remmert, Fath/Wohlgemut, Camathias/Föll, Butcher/Schmidt, Luthringhauser/Vester u.a.m. ).
Nach Abbruch der sportlichen Beziehungen zwischen der BRD und der DDR durch den Bau der Berliner Mauer war der Start eines westdeutschen Rennfahrers auf der Dresdner Spinne so gut wie nicht mehr möglich.
Am Rande des spannenden Renngeschehens kam es immer wieder mal zu Begebenheiten, die den Hörer oder Betrachter zum Schmunzeln auch heute noch veranlassen: So die Geschichte über Karli Pusch, dem Westberliner Seitenwagenfahrer, der bei der Anmeldung im Rennbüro feststellen musste, dass er vermutlich seine persönlichen Dokumente zusammen mit dem Schokoladenpapier bei einer Pause während der Autobahnanreise weggeworfen hatte, und die dann von einem (in diesem Fall echten) „Freund und Helfer“ der Deutschen Volkspolizei noch gefunden wurden; oder die Sache mit der Renntaktikabsprache zwischen dem damaligen Formel II-Europameister Freddy Kottulinsky und dem Cossebauder Autorennfahrer Wolfgang Küther, durch die der Mann aus dem „Klassenfeindlager“ dem DDR – Fahrer zum Meistertitel verhalf. Aber auch nachdenklich und traurig stimmende Momente durch die in diesem Metier nicht ausbleibenden Unfälle gab es in dieser Zeit, so z.B. beim Unfall des Wagenrennfahrers Manfred Lesche, bei dem auch ein Zuschauer sein Leben verlor.
Heute kann sich kein Mensch mehr vorstellen, dass man eine Autobahn für eine Sportveranstaltung mit einer Vollsperrung belegen könnte So ist hier endlich mal der Fall eingetreten, dass die Vertreter der älteren Generation sich glücklich schätzen können, ein paar Jahre eher geboren zu sein und diese Zeit in ihrer Aufbruchsstimmung und Euphorie erlebt zu haben.
Autor: J.Ehrhardt
70 Jahre Dresdner Autobahnspinne
Erinnerungen an eine Rennstrecke von Jürgen Ehrhardt
Mit den Erfolgen, die deutsche Rennfahrer mit deutschem Material (und dem damit verbundenen Propagandarummel) in der Zeit des Dritten Reiches einfuhren, wurde für die Wertschätzung des Motorsportes bei der Bevölkerung in Deutschland eine Grundlage geschaffen, von der man noch lange in der Nachkriegszeit zehren konnte. Namen, wie Bernd Rosemayer, Hans Stuck, Rudolf Caracciola oder auch Ernst Henne, Ewald Kluge und Georg Meier waren auch Leuten geläufig, die sich im Sportteil der Zeitungen fast ausschließlich dem Fußball widmeten.
So ist es nur allzu erklärlich, dass nach Ende des zweiten Weltkrieges und ersten Aufräumungsarbeiten sich eine Reihe von ehemaligen Aktiven und Enthusiasten zusammenfand, um wieder Rennen zu fahren. Man holte aus den Schuppen und Garagen, was man über den Krieg gerettet hatte, und nun begann die Suche nach Straßen, auf denen man evtl. Rennen fahren könnte. Man befuhr alles, was die Überbleibsel des Krieges an einigermaßen geeigneten Strecken boten: Pferderennbahnen, Radrennbahnen, Landstraßen, Autobahnabschnitte u.v.a.m..
Es war die Zeit, wo man sich noch um die Einheit Deutschlands bemühte und Losungen wie „Deutsche an einen Tisch“ o. ä. auf Spruchbändern und in den Rennprogrammen zu finden waren. (Bis zum Jahre 1950 trug man noch gesamtdeutsche Meisterschaften im Motorrennsport aus).
Mit dem 1. Ruhestein-Bergrennen im Schwarzwald fand im Juli 1946 das erste Nachkriegsrennen in Deutschland statt und brachte auf Anhieb 40000 Zuschauer an die Rennstrecke. In der sowjetischen Besatzungszone (Ostdeutschland) brauchte man etwas länger, da hier private Initiativen eingeschränkt wurden und derartige Veranstaltungen dem Wohlwollen der SMAD (Sowjetische Militäradministration) unterlagen (z. B. Schleiz), oder die Leitung der Veranstaltung in die Hände systemgerechter Vereine gelegt werden musste (z.B. Sachsenring). Aber 1948 war es dann auch im Osten soweit: Am 17. Oktober 1948 startete man in Schleiz zu einem sog. „Vergleichsrennen“ , dem ersten Rennen in der SBZ (Sowjetische Besatzungszone). Nachdem 1949 der Sachsenring nachgezogen hatte und 1950 mit 480000 Zuschauern einen bis heute ungeschlagenen Zuschauerrekord aufstellte (und damals zählte man nicht wie heute drei Tage zusammen!) suchte man nach weiteren geeigneten Rennkursen. Im Dresdner Raum soll es neben anderen Fahrern der Cossebauder Rennfahrer Helmut Zimmer gewesen sein, der die Idee äußerte, den Bereich des Autobahndreiecks Dresden Nord als Rennstrecke zu nutzen. Durch die Schaffung einiger fester Übergänge über den Grünstreifen (es gab damals noch keine Leitplanken) kam es zu einer Rennstrecke, die schließlich aufgrund ihrer Streckenführung die Bezeichnung „Autobahnspinne“ erhielt. Die relativ gut erhaltene Autobahnbetondecke galt zu dieser Zeit als ein fast idealer Fahrbahnbelag für Rennsportzwecke. Mit einer Streckenlänge von 6,443 km (später 5,3 km) entsprach sie den damals üblichen Distanzen für Rundstrecken. Mit zwei Ausnahmen (1956 und 1968) diente sie nun von 1951 bis 1971 der Durchführung internationaler Motorrad- und Wagenrennen. Fahrerisch galt der Kurs als nicht besonders herausfordernd, jedoch war die Wahl der richtigen Übersetzungen aufgrund der Spitzkehren und langer Geraden nicht gerade einfach. Knifflig war es für die Fahrer lediglich im sog. „Karussell“, einem fast kreisrunden Streckenteil, der zudem noch mit Granit – Kleinpflaster als Fahrbahnbelag versehen war. Für die Zuschauer war natürlich, speziell bei den Seitenwagenrennen, dieser Streckenabschnitt der wohl attraktivste.
Es gibt so manche Story, die die Augen derer, die sie miterlebten, heute noch zum Glänzen bringen. So gab es zwei sog. „tote Rennen“ (zeitgleiches Überqueren der Ziellinie der ersten beiden Fahrzeuge), 1952 waren dies in der Klasse bis 500 ccm Karl Rührschneck und Rudi Knees, und 1954 schafften Gleiches die Gespanne Faust/Remmert und Pusch/Pöschel. Im Jahre 1952 musste Ex – Europameister Ewald Kluge einen sicher geglaubten Sieg noch aus der Hand geben, weil er den Kerzenschlüssel für einen erforderlichen Kerzenwechsel verloren hatte. Oder man erinnert sich an Heinz Melkus, der hier als Zuschauer die Initialzündung für seine Laufbahn als Autorennfahrer erhielt. Einmalig dürfte wohl auch die Fahrt von Kurt Ahrens gewesen sein, der eine auf einem Strohballen ablegte Feuerwehrjacke mit der Vorderachse „erwischte“ und damit dann seine Runden drehte. Auch die Absprache zur Renntaktik zwischen Wolfgang Küther und dem Schweden Freddy Kottulinsky, um Küther den DDR -Meistertitel zu sichern, hat da ihren Platz. Am Rande wäre da auch noch erwähnenswert, dass der Start des Westberliner Seitenwagenfahrers Karli Pusch 1954 beinahe verhindert worden wäre. Er hatte bei einer Imbisspause während der Anreise auf der Autobahn zusammen mit der leergewordenen Verpackung seiner „Stullen“ die gesamten persönlichen Dokumente in den Papierkorb des Autobahnrastplatzes geworfen. Ein „Freund und Helfer“ der Volkspolizei wurde da zum Retter. Die traurigste Erinnerung ist schließlich der Unfall des Wagenrennfahrers Manfred Lesche 1971, bei dem ein Zuschauer um das Leben kam.
Hört man heute von den Zuschauerzahlen, so ist es kaum vorstellbar, dass in den ersten, noch fernsehlosen Jahren, zwischen 120000 und 150000 Leute die Rennstrecke bevölkerten.
Das Thema Sicherheit spielte für Fahrer und Zuschauer eine recht untergeordnete Rolle. Die Rennbetrachter saßen direkt an der Strecke (d.h. auf dem Grünstreifen, der sich zwischen den Fahrbahnen befand), oder auf Tribünen.
Beim ersten Rennen 1951 waren beim Veranstalter 650 Nennungen eingegangen, von denen aus zeitlichen Gründen 380 bestätigt werden konnten. Man fuhr in den Leistungsklassen Nachwuchs, Ausweis und Lizenz; und um möglichst vielen Fahrern eine Startmöglichkeit zu geben, ließ man z.B. die Klasse B bis 350 ccm Lizenz zusammen mit der Klasse A bis 250 ccm Lizenz starten. Dabei erhielten die Fahrer der 350 er Klasse einen blauen Helmüberzug und die der 250er einen roten. Jeweils 5 Läufe pro Samstag und Sonntag wurden von den Fahrern der Motorräder, Seitenwagengespanne und Rennwagen den Zuschauern präsentiert. In Anbetracht der damaligen technischen Möglichkeiten war dies eine gewaltige organisatorische Leistung.
1955 fuhr man auf einem leicht veränderten Kurs (sog. Kleine Autobahnspinne), da es in einigen Streckenbereichen zu Fahrbahnschäden (Plattenhebungen) gekommen war. Vermutlich aus gleichem Grund fiel das 56er Rennen aus. Auch das geplante Rennen 1968 musste aufgrund der politischen Situation (Prager Frühling) abgesagt werden.
Was die Internationalität des Fahrerfeldes anbetrifft, so konnte sich die „Spinne“ natürlich nicht mit dem Sachsenring oder dem Schleizer Dreieck messen, jedoch brachten im Laufe der Jahre ca. 15 Länder ihre Fahrer zur Dresdner Autobahnspinne. Immerhin tauchen in der Liste der Starter solche bekannte Namen auf wie Luigi Taveri, Bob Coulter, Ginger Molloy, Kent Andersson, Freddy Kottulinski,oder die deutschen Kurt Ahrens sen. und jun., Deubel/Höhler, Schneider/Strauß, Faust/Remmert, Fath/Wohlgemut, Camathias/Föll, Butcher/Schmidt, Luthringshauser/Vester und der WM -Dritte Heinz Rosner. Mit dem Bau der Berliner Mauer brach die BRD die sportlichen Beziehungen zur DDR ab. Damit waren Starts von westdeutschen Fahrern nicht mehr möglich.
Das letzte Rennen auf der Dresdner Autobahnspinne fand 1971 statt. Aus den unterschiedlichsten Gründen wurden danach die Rennen auf Autobahnkursen eingestellt (Bernauer Schleife 1973, Bautzner Autobahnring 1974). Ihre Zeit war abgelaufen. In der Erinnerung derer, die sie miterleben konnten, bleiben sie ein von besonderem Flair geprägtes Stück deutscher Motorsportgeschichte.